Hypothetisches Lebendbild des Triassischen Riesenkraken (Bild: Nix Draws Stuff, CC BY-NC 4.0).Hypothetisches Lebendbild des Triassischen Riesenkraken (Bild: Nix Draws Stuff, CC BY-NC 4.0).
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Spuren eines Paläo-Kryptiden

Bereits alte skandinavische Sagen berichten von einem Kraken, so groß wie eine Insel. Über Jahrhunderte gehörte das schiffeversenkende Ungeheuer zur Folklore der Seeleute; noch in der frühen Zoologie wurde es für ein reales Wesen gehalten. Auch in der modernen Phantastik taucht der Kraken mit einiger Regelmäßigkeit auf – von Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer über H. P. Lovecrafts Cthulhu bis zur Pirates-of-the-Caribbean-Saga faszinierte er eine Generation nach der anderen.
Mittlerweile konnte mit dem Riesenkalmar Architeuthis dux und dem Koloss-Kalmar Mesonychoteuthis hamiltoni die Existenz großer Kopffüßer zoologisch verifiziert werden – doch erreichen diese mit einer Mantellänge von rund zwei (Riesenkalmar) bzw. vier Metern (Koloss-Kalmar) zzgl. ihrer langen und dehnbaren Tentakel nicht annähernd die Ausmaße der mythischen Ungeheuer. Anstatt mit ihren Fangarmen Schiffe in die Tiefe hinabzureißen, dienen sie in der Tiefsee Pottwalen zur Nahrung. Doch könnte es sein, dass in grauer Vorzeit weit größere Kopffüßer existierten, die selbst die gewaltigen Meeressaurier jener Epoche in Angst und Schrecken versetzten?

 

Lebendrekonstruktion von Shonisaurus popularis (Bild: Nobu Tamura, CC BY-SA 3.0).
Lebendrekonstruktion von Shonisaurus popularis (Bild: Nobu Tamura, CC BY-SA 3.0).

 

Die Shastasauriden der späten Trias, eine Familie der delfinähnlichen Ichthyosaurier, gehörten zu den größten Raubtieren aller Zeiten: Shonisaurus popularis (Abb. 2) erreichte mit rund 15 m die Größe eines heutigen Pottwals, andere Arten wie Shonisaurus (auch Shastasaurus) sikanniensis und der erst vor kurzem entdeckte Ichthyotitan severnensis könnten sogar 20 m überschritten haben (Lamsfuß 2023; Lomax et al. 2024). Diese Meeresreptilien waren unangefochtene Spitzenprädatoren ihrer Zeit, die keine natürlichen Feinde besaßen … oder?

2011 verstörte der US-amerikanische Paläontologe Mark McMenamin auf der Jahresversammlung der Geological Society of America in Minneapolis seine Standesgenossen mit einer auf den ersten Blick unglaublichen These: In der späten Trias ‒ vor ca. 227 Mio. Jahren ‒ habe es eine Art Riesenkraken gegeben, die Jagd auf jene großen Ichthyosaurier machte und deren Intelligenz die aller anderen bekannten Kopffüßer übersteige.
Mark McMenamin ist Professor für Geologie am Mount Holyoke College in South Hardley (Massachusetts). Sein wichtigster Forschungsschwerpunkt gilt den wirbellosen Tieren des Präkambriums und Kambriums, unter denen er mehrere Arten beschrieb, sowie insbesondere der rätselhaften Ediacara-Fauna. Diese deutete er als Vendobionten ohne verwandtschaftliche Beziehung zu späteren Taxa, die in einem friedlichen „Garten“ von im Wasser gelösten Nährstoffen lebten.
Bereits in der Vergangenheit machte McMenamin immer wieder durch unkonventionelle Theorien von sich reden: So interpretierte er das frühkambrische Paleodictyon als Nest eines unbekannten Tieres und damit frühesten bekannten Beleg für Brutpflege im Tierreich. In einer Amazon-Rezension des kreationistischen Dokumentarfilms Darwin’s Dilemma von Stephen Meyer unterstützte er die These, die „Kambrische Explosion“ sei nicht im Rahmen gradueller Evolution zu erklären, und sprach von der Evolution durch natürliche Selektion als „Darwin’s defunct, socially corrosive theory“. Abseits der Paläontologie spekulierte McMenamin zudem über eine Entdeckung Amerikas durch karthagische Seefahrer um 350 v. Chr.

 

Die Theorie

Die These eines triassischen Riesenkraken veröffentlichte McMenamin erstmals mit dem Abstract seines Vortrages 2011, dessen Inhalt von zahlreichen populären Medien aufgegriffen wurde (McMenamin/Schulte McMenamin 2011). Seine Argumentation wiederholte er in einem späteren Artikel (McMenamin 2011‒12), weitere mutmaßliche Belege für seine These präsentierte er in einem Vortrag 2013. Die Thesen wurden somit zwar einem Fachpublikum präsentiert, jedoch nie in einem peer-reviewten Journal der Kritik unterzogen. Eine eingehendere Ausführung erfuhr die „Triassic Kraken hypothesis“ schließlich in dem Kapitel Deep Bones seiner Monographie Dynamic Paleontology von 2016.
Das Abstract von 2011 fasst die zentralen Punkte der Theorie zusammen (Üs. DeepL/LI, nachfolgend Original):

„Die Luning-Formation im Berlin-Ichthyosaur State Park, Nevada, birgt eine rätselhafte Ansammlung von mindestens 9 großen (≤14 m), nebeneinanderliegenden Ichthyosauriern (Shonisaurus popularis). Shonisaurier waren tintenfischfressende Raubtiere vergleichbar mit Pottwalen (Physeter). Hypothesen, um den offensichtlichen Massentod an der Stelle zu erklären, beinhalteten: Strandung an der Küste, plötzliches Begräbnis durch Hangabbruch und Phytotoxin-Vergiftung. Mit Bezug auf die Wackestone-Matrix argumentierte J. A. Holger [1992] überzeugend für ein Tiefwasserumfeld, doch ihre Phytotoxin-Hypothese kann nicht erklären, wie so viele an nahezu demselben Punkt zur Ruhe kamen. Die Skelettartikulation indiziert, dass die Tiere kurz nach dem Tod auf dem Meeresboden deponiert wurden. Strömungen oder andere Faktoren platzierten sie in einer Nord-Süd-Ausrichtung. Benachbarte Skelette zeigen andere taphonomische Hintergründe und Grade von Disartikulation, was katastrophalen Massentod ausschließt, aber ein Szenario erlaubt, in dem tote Ichthyosaurier nacheinander zu einer Halde auf dem Meeresgrund transportiert wurden. Wir vermuten, dass die Shonisaurier von einem gewaltigen triassischen Kopffüßer, einem „Kraken“ mit einer geschätzten Länge von ungefähr 30 m, doppelt so groß wie der moderne Koloss-Kalmar Mesonychoteuthis, getötet und zu dieser Stätte getragen wurden. In diesem Szenario wurden Shonisaurier von einem triassischen Kraken aus dem Hinterhalt angegriffen, ertränkt und auf einen Abfallhaufen wie den eines modernen Oktopus geworfen. Wo Wirbel in der Ansammlung separiert sind, sind die Scheiben in sonderbaren linearen Mustern mit fast schon geometrischer Regelmäßigkeit arrangiert. Zusammenhalt durch Kontraktion der Wirbelsäulenbänder wird durch das Nebeneinanderliegen unterschiedlich großer Wirbel aus verschiedenen Teilen der Wirbelsäule widerlegt. Der vorgeschlagene triassische Kraken, welcher der intelligenteste Wirbellose aller Zeiten gewesen sein könnte, ordnete die Wirbel in zweireihigen Mustern an, wobei einzelne Stücke in einer passenden Weise lagen, als seien sie Teil eines Puzzles. Die arrangierten Wirbel gleichen dem Muster von Saugnäpfen an einem Cephalopodententakel, jeder bikonkave Wirbel einem Tintenfischsaugnapf entsprechend. Somit könnte die mosaikartige Wirbelansammlung das früheste bekannte Selbstportrait repräsentieren. Der unterseeische Wettkampf zwischen Cephalopoden und meeresbewohnenden Tetrapoden hat eine lange Geschichte. Ein triassischer Kraken hätte eine tödliche Gefahr für Shonisaurier dargestellt, die zur Jagd auf ihre Beute aus kleineren Kopffüßern abtauchten.“

 

Shonisaurus-Relief im Berlin-Ichthyosaur State Park, Nevada (Foto: Famartin, CC BY-SA 4.0).
Shonisaurus-Relief im Berlin-Ichthyosaur State Park, Nevada (Foto: Famartin, CC BY-SA 4.0).

“The Luning Formation at Berlin-Ichthyosaur State Park, Nevada, hosts a puzzling assemblage of at least 9 huge (≤14 m) juxtaposed ichthyosaurs (Shonisaurus popularis). Shonisaurs were cephalopod-eating predators comparable to sperm whales (Physeter). Hypotheses presented to explain the apparent mass mortality at the site have included: tidal flat stranding, sudden burial by slope failure, and phytotoxin poisoning. Citing the wackestone matrix, J. A. Holger [1992] argued convincingly for a deeper water setting, but her phytotoxicity hypothesis cannot explain how so many came to rest at virtually the same spot. Skeletal articulation indicates that animals were deposited on the sea floor shortly after death. Currents or other factors placed them in a north-south orientation. Adjacent skeletons display different taphonomic histories and degrees of disarticulation, ruling out catastrophic mass death, but allowing a scenario in which dead ichthyosaurs were sequentially transported to a sea floor midden. We hypothesize that the shonisaurs were killed and carried to the site by an enormous Triassic cephalopod, a “kraken,” with estimated length of approximately 30 m, twice that of the modern Colossal Squid Mesonychoteuthis. In this scenario, shonisaurs were ambushed by a Triassic kraken, drowned, and dumped on a midden like that of a modern octopus. Where vertebrae in the assemblage are disarticulated, disks are arranged in curious linear patterns with almost geometric regularity. Close fitting due to spinal ligament contraction is disproved by the juxtaposition of different-sized vertebrae from different parts of the vertebral column. The proposed Triassic kraken, which could have been the most intelligent invertebrate ever, arranged the vertebral discs in biserial patterns, with individual pieces nesting in a fitted fashion as if they were part of a puzzle. The arranged vertebrae resemble the pattern of sucker discs on a cephalopod tentacle, with each amphicoelous vertebra strongly resembling a coleoid sucker. Thus the tessellated vertebral disc pavement may represent the earliest known self-portrait. The submarine contest between cephalopods and seagoing tetrapods has a long history. A Triassic kraken would have posed a deadly risk for shonisaurs as they dove in pursuit of their smaller cephalopod prey.”

(McMenamin/Schulte McMenamin 2011; zit. nach McMenamin 2016, 133)

 

Das öffentlich ausgestellte Skelett von Shonisaurus U, der Pfeil markiert die ungewöhnlich deponierten Wirbelknochen (Foto: Famartin, CC BY-SA 4.0).
Das öffentlich ausgestellte Skelett von Shonisaurus U, der Pfeil markiert die ungewöhnlich deponierten Wirbelknochen (Foto: Famartin, CC BY-SA 4.0).

 

Der Tatort

McMenamins Beweisführung gründete sich zunächst auf ein, später zwei Fossilfunde in der Luning-Formation des Berlin-Ichthyosaur State Park in Nevada. Der Fund von insgesamt neun Exemplaren des Ichthyosauriers Shonisaurus popularis (Abb. 4) warf bereits bei der Entdeckung Anfang der 50er Jahre Fragen auf. Was war die Ursache für eine solche Ansammlung der bis zu 14 m langen Tiere? Die Erklärung des Finders Charles L. Camp, es handle sich um eine massenhafte Strandung, konnte durch neuere Forschungen widerlegt werden – bei der fraglichen Schicht handle es sich nicht um Küsten-, sondern vielmehr Tiefseeboden (McMenamin 2016, 136). Eine alternative Idee geht von einer Vergiftung der Tiere durch eine Algenblüte aus – eine bekannte Todesursache für Meereswirbeltiere, auch wenn dies im vorliegenden Fall ohne konkreten Beleg bleibt. Dagegen spreche neben der Betroffenheit nur einer einzigen Spezies jedoch die enge Anhäufung im tiefen Wasser, die bei einer Vergiftung in oberen Wasserschichten unwahrscheinlich erscheint. Solcherart verendete Wale sollen vielmehr zu einer weiteren Verstreuung tendieren (ebd., 142 f).
McMenamin führt den Tod der großen Ichthyosaurier stattdessen auf einen noch größeren Beutegreifer, konkret einen Cephalopoden, zurück. Grund für diese Annahme ist die Anordnung von Wirbelknochen des Shonisaurus-Exemplars U. Diese sei schwerlich auf natürliche Prozesse zurückzuführen und zeuge vielmehr vom Spielverhalten eines großen Kopffüßers.
Das Verhalten, etwa Haie zu töten und bei deren Zerfleischung mit dem Schnabel die abgenagte Wirbelsäule übrig zu lassen, sei von modernen Oktopoden durchaus belegt. Mitunter seien sogar regelrechte Arrangements von Nahrungsresten bekannt, wofür McMenamin (2016, 152) Beobachtungen aus dem populärwissenschaftlichen Buch The Soul of an Octopus von Sy Montgomery (2015, 199) zitiert: „two crab claws piled on a flame scallop shell as carefully as a stack of plates piled in the kitchen sink after dinner. […] Shells are stacked up one atop the other, with crab-claws resting on top, like spoons in a bowl.”
Nach McMenamins Berechnungen tendiere die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Entstehung des Wirbelmusters bei Exemplar U durch natürliche Strömungen gegen Null, da es sich bei der beobachteten Formation um eine „hydrodynamisch instabile Anordnung“ handle, die durch jede ausreichend starke Strömung, die in der Lage ist, einen einzigen Wirbelknochen zu bewegen, mit statistischer Sicherheit auch wieder zerstört werden würde (ebd., 140). Wenn folglich Strömungen vorlagen, die die Formation hätten erzeugen können, so hätten sie diese auch zwangläufig wieder auseinandergetrieben.
Mehr noch, spekulierte McMenamin, erinnere die Komposition aus zwei parallelen Reihen der runden Wirbelknochen (Abb. 5) an die Anordnung der Saugnäpfe am Arm eines Oktopus. Als Erzeugnis eines erstaunlich intelligenten Tieres handle es sich also möglicherweise um das älteste „Selbstportrait“ eines Lebewesens überhaupt.

In Doppelreihe angeordnete Wirbel eines Shonisaurus (McMenamin 2016, Fig. 9.3) – das Selbstporträt eines prähistorischen Riesenkraken?
In Doppelreihe angeordnete Wirbel eines Shonisaurus (McMenamin 2016, Fig. 9.3) – das Selbstporträt eines prähistorischen Riesenkraken?

Ein weiteres Opfer?

2013 wurde McMenamin vom Ausstellungsmanager des Nevada State Museums Thomas Dyer auf ein weiteres Fossil eines Shonisaurus aufmerksam gemacht, das Jahre zuvor im exakten Zustand seiner Auffindung in einer Ausstellung gezeigt worden war (McMenamin 2016, 145 f). Anhand von Fotos rekonstruierte McMenamin die Lage des Skelettes, welche die Riesenkraken-Hypothese zu bestätigen schien (Abb. 6):
Ganz ähnlich wie beim Exemplar U wurde auch hier eine Gruppe gebrochener Wirbel in zwei parallelen Reihen deutlich entfernt vom übrigen Skelett aufgefunden. Dreieckige Einschnitte an den Wirbeln könnten vom Schnabel eines Tintenfisches herrühren. Seitlich des Brustkorbes ist zudem eine auffällige Häufung kleiner, stark fragmentierter Knochenstücke in parallelen Reihen zu erkennen, bei der es sich ebenfalls um bewusst angeordnete Nahrungsreste eines Tintenfisches handeln könne, wie man sie von Muschelhaufen kennt. Die Rippen des Tieres weisen auf beiden Seiten Brüche auf, die wegen ihrer Symmetrie eher nicht durch punktuelle Zusammenstöße zwischen Ichthyosauriern zu erklären seien, sondern vielmehr mit der tödlichen Umschlingung durch die Fangarme eines Kraken. Zudem sei die Wirbelsäule an drei Stellen (im Halsbereich, entlang der Schultern und am Becken) auffällig abgeknickt; in der Beckenregion fehlten mehrere Wirbel (ebd., 148 f).

Zeichnerische Rekonstruktion des zweiten Shonisaurus-Skeletts in einer Ausstellung des Nevada State Museums durch M. McMenamin (2016, 148, Fig. 9.9).
Zeichnerische Rekonstruktion des zweiten Shonisaurus-Skeletts in einer Ausstellung des Nevada State Museums durch M. McMenamin (2016, 148, Fig. 9.9).

 

Ein erstes Fossil?

Bereits in seinem zweiten Vortrag (in der Monografie fehlt die Erwähnung) hatte McMenamin ein weiteres in der Luning Formation östlich des Berlin-Ichthyosaur State Park entdecktes Fossil präsentiert, welches er als oberes Schnabelfragment des mutmaßlichen Riesenkraken deutete. Doch dauerte es bis 2023, bis er das 4,8 cm lange Stück in einem paläontologischen Artikel in einer regulären Fachzeitschrift vorlegte, welcher weitere Evidenz für die Kraken-Hypothese liefern sollte (McMenamin 2023). Auch wenn er in Dynamic Paleontology (McMenamin 2016, 145) die mutmaßliche Größe des Kraken noch auf die Hälfte relativiert hatte (ein Kraken von etwa derselben Größe seines Opfers, d.h. ca. 14 m), so kehrte er mit dem Fossil zu seiner ursprünglichen Schätzung zurück: Ausgehend vom rezenten Humboldtkalmar, bei dem bei einer Mantellänge von bis zu 1,5 m ein vergleichbarer Schnabelteil nur 4 mm messe, errechnete er für den „Triassischen Kraken“ eine Mantellänge von 18 m; die Gesamtlänge lasse sich davon ausgehend auf 28,6 m einschließlich Fangarmen/Tentakeln berechnen. Die frühere Deutung des Fossils als Teil einer ramonaliniden Muschel wies McMenamin (2023, 9) zurück: „An alternative explanation, namely, that the specimen represents part of the hinge of a ramonalinid clam [22], is not plausible because the specimen has a flaring V-shaped, rather than roughly parallel, fabric as would be expected for a ramonalinid hinge. Furthermore, remains of ramonalinids are otherwise unknown from the Luning Formation. Ramonalinids are a large, robust and gregarious type of myalinoid bivalve that would not be easily missed in the field.”
Nur in der Präsentation von 2013 nannte McMenamin mehrere oberflächliche Gemeinsamkeiten mit dem Schnabel eines rezenten Humboldtkalmars („First order spall fractures; Second-order spall fractures; Spall shelves become smooth; Converging striae; Tension fractures with offset; Tip of beak most durable“); in der Publikation von 2023 unterbleibt dagegen jeder direkte Vergleich.

 

Mutmaßlicher Schnabel des Riesenkraken aus Shaly Limestone Member, Luning Formation, Nevada (McMenamin 2023, Fig. 14).
Mutmaßlicher Schnabel des Riesenkraken aus Shaly Limestone Member, Luning Formation, Nevada (McMenamin 2023, Fig. 14).

Zum Vergleich ein Schnabel eines modernen Riesenkalmars (Architeuthis dux):

Schnabel eines modernen Riesenkalmars
Schnabel eines Architeuthis dux aus Lairg, Schottland, Sammlung des Natural History Museum, London. Foto: The Trustees of the Natural History Museum, London; CC-BY 4.0

 

Der größere Teil des Artikels ist Funden von Muscheln aus den triassischen Schichten der Luning Formation gewidmet. Die dort dokumentierten Spezimen wiesen die größte Ähnlichkeit zu rezenten Arten wie Abyssochrysos brasilianus und Pseudoneilonella spec. auf, welche in Tiefen von 525 bis über tausend Metern leben. Demnach seien auch die in dieser Schicht entdeckten Shonisaurus-Skelette nicht im Flachwasser einer ehemaligen Küstenregion, sondern in einer Tiefe von seinerzeit etwa tausend Metern abgelagert worden. Der Riesenkrake habe demnach eine ähnliche Meerestiefe bewohnt wie heutige große Kopffüßer.
Auffällig sei weiterhin, dass die dort entdeckten Shonisaurier eine relativ einheitliche Größe aufwiesen, obwohl aus der Formation inzwischen auch größere Exemplare bezeugt seien – sie seien demnach von ihrem Jäger „größenselektiert“ worden.

Die Belege

Zusammengefasst sprechen nach McMenamin folgende Argumente für die Hypothese eines triassischen Riesenkraken:

  • der gehäufte Tod von Shonisauriern (aber keiner anderen Lebewesen) von relativ einheitlicher Größe an einem gemeinsamen Ort, der nicht durch andere Prozesse zu erklären sei
  • die Anordnung der Wirbel bei zwei Shonisauriern, die nicht durch bloße Strömungen entstanden sein könne und auf intentionale Deponierung hindeute
  • mutmaßliche Bissspuren an den Wirbeln
  • gebrochene Rippen, mehrfach geknickte Wirbelsäule und neben dem Körper aufgehäufte Knochenfragmente bei dem zweiten Shonisaurus-Skelett
  • das mutmaßliche Fossil eines Tintenfischschnabels aus derselben Formation

Zu trennen sei die Zurückführung der Befunde auf einen prähistorischen Riesen-Cephalopoden allerdings von der gewagteren Interpretation der Wirbel als Abbild von dessen Saugnäpfen (McMenamin 2016, 138).

Größenvergleich von Shonisaurus popularis, S. sikanniensis und Mensch (Bild: Abyssal and Steveoc 86, CC BY 3.0).
Größenvergleich von Shonisaurus popularis, S. sikanniensis und Mensch (Bild: Abyssal and Steveoc 86, CC BY 3.0).

 

Reaktionen aus der Paläontologie

In der wissenschaftlichen Community stieß die „Triassic Kraken hypothesis“ von Anfang an auf Skepsis. Die in Presseartikeln zum Thema befragten Paläontologen kamen weitgehend einhellig zu dem Schluss, dass die vorliegenden Belege für eine so gewagte These nicht ausreichten. Ihre Urteile reichen von „fun to think about, but I think it’s  very implausible“ (R. Motani) bis zu „bizarre and miraculous“ (P. Myers).
Der Paläontologe und Skeptiker Donald Prothero (2011; 2013) widmete dem Thema zwei Online-Artikel, in denen er McMenamins Hypothese als „eindeutig absurd und unwissenschaftlich“ bewertete, insbesondere vor dem Hintergrund von dessen zahlreichen anderen unglaubwürdigen Theorien und potenziell kreationistischen Tendenzen. Es sei ein taphonomisch wohlbekanntes und gutdokumentiertes Phänomen bei Wirbeltieren, dass die einzelnen Wirbel nach dem Verwesen der sie zusammenhaltenden Bänder in einer Reihe niederfallen. Vergleichbare Wirbelanordnungen seien allgemein und auch von europäischen Ichthyosauriern gut bekannt, doch fehle McMenamin, der kein Wirbeltierpaläontologe ist, schlichtweg die Kompetenz in diesem Thema.
Ähnlich formulierte es der Paläontologe David Fastovsky in einem Interview für LiveScience (Pappas 2013): „Ichthyosaurier sterben. Sie sinken auf den Grund, wo sich Aasfresser an die Arbeit machen und ihr Skelett von Fleisch befreien. Die Sehnen und Bänder, die die Wirbel zusammenhielten, verrotten oder werden aufgefressen. ‚Was passiert mit der Wirbelsäule?‘ […] ‚Nun, das erste, was passiert, ist, dass sie wie eine Reihe von Dominosteinen umkippt.‘ Die merkwürdige Kachelstellung scheint tatsächlich die stabilste Position zu sein, in der diese fallenden Dominosteine zur Ruhe kommen, so Fastovsky. ‚Es ergibt sich eine vollkommen vernünftige, bodenständige, kohärente Geschichte, die keine groß angelegte Erfindung von etwas Unbekanntem oder Beispiellosem erfordert.‘“ Die gleiche Erklärung betont auch Paul Myers bei National Geographic Daily News, während der Paläontologe Ryosuke Motani eine leicht abweichende Interpretation gibt: Da die Wirbel scheibenförmig sind, liegen sie flach auf dem Meeresboden, sodass sie von Strömungen aufgenommen und zusammengetrieben werden könnten. „Dieses Spezimen“, so Motani gegenüber National Geographic, „hat zwei Reihen. Aber ich habe andere gesehen, die drei Reihen haben. … Es ist natürlich, dass die Knochen so angeordnet werden“ (Than 2011; Üs. LI).
Fastovsky zufolge sei das von McMenamin angewandte Rechenverfahren für Meeresströmungen vollkommen ungeeignet, die Bewegungen schwerer Wirbelknochen auf dem Meeresgrund zuverlässig zu simulieren. Der Paläontologe Thomas Holtz Jr. schlug dagegen im Interview für The Christian Science Monitor eine Möglichkeit vor, die These der bewussten Deponierung der Wirbel zu überprüfen: So könne man bestimmen, ob die Wirbelknochen in ihrer natürlichen anatomischen Reihenfolge vorlägen oder sogar Stücke verschiedener Individuen umfassten. Wenn ersteres der Fall sein sollte, „that‘s just the way they fell apart“ (Spotts 2011). Tatsächlich hatte McMenamin bereits in seinem ersten Abstract das „Nebeneinanderliegen unterschiedlich großer Wirbel aus verschiedenen Teilen der Wirbelsäule“ erwähnt, ohne jedoch die Identifikation der einzelnen Knochen näher auszuführen.
Sowohl Fastovsky wie Prothero wiesen darauf hin, dass bekannte Riesentintenfische nicht Jäger, sondern vielmehr Beute von großen Meereswirbeltieren wie Pottwalen seien. Dies dürfte auch für den Shonisaurus mit einer vergleichbaren Größe und Lebensweise wie dem heutigen Pottwal gegolten haben. Weiterhin erklärten beide, dass die bekannten Nahrungsrest-Deponien von heutigen Tintenfischen eben keine „künstlerische“ Dimension hätten und nicht mit dem postulierten Szenario zu vergleichen seien. Auch bei den von Montgomery (2015) beschriebenen Arrangements handelt es sich eben nicht um figürliche, selbstbewusste Kunst.
Den mutmaßlichen fossilen Schnabel hält Prothero für unglaubwürdig: Das zunächst nur in mangelhafter Qualität in einem Vortrag veröffentlichte Foto sehe nicht wirklich nach einem Tintenfischschnabel aus, welche aufgrund ihres Aufbaus aus Chitin ohnehin nur schwer versteinern. Zudem sei das Fossil offensichtlich zu klein für den von McMenamin postulierten Riesenkraken. Für Fastovsky sei der Fund, selbst wenn es sich um einen Schnabel handeln sollte, zu fragmentarisch für eine sichere Größenberechnung. Auch wenn McMenamin den mutmaßlichen Schnabelfund später gesondert in seinem Artikel vorlegte, so verzichtete er dabei auf einen direkten Vergleich mit Überresten anderer fossiler oder rezenter Cephalopoden: Welchen Teil des Schnabels das vorliegende Fragment von nur 4,8 cm (!) ausmache und wie groß der Gesamtschnabel gewesen sei, geht aus der Publikation nicht hervor.
Schließlich nahm Max Dresow (2024; 2024a) die These zum Anlass, in einem zweiteiligen Blog-Artikel über die Natur und Berechtigung gewagter Spekulationen in der Geologie nachzudenken.

Eine Frage der Saugnäpfe

Einige Jahre nach dem Medienhype formulierte Tyler Greenfield (2021) ein weiteres, evolutionsbiologisches Argument gegen die Riesenkraken-These, das in den ersten Reaktionen übersehen worden war: McMenamin zufolge handle es sich bei seinem Riesenkraken um ein Taxon der Tintenfische (Coleoidea), welche alle Kopffüßer mit innerem Mantel (d.h. Kalmare, Kraken und Sepien in Abgrenzung zu Gruppen mit äußerer Schale wie den Ammoniten) umfassen. Sollte McMenamins These des „Selbstporträts“ stimmen, dann müsste es sich bei dem Riesenkraken um einen Coleoiden mit zweireihigen (biserialen) Saugnäpfen handeln. In der Trias sind drei Gruppen von Coleoiden bezeugt: Belemnitida, Phragmoteuthida und Prototeuthidina. Zwar liegen keine triassischen Fossilien mit Spuren der Saugnäpfe aus einer dieser Gruppen vor, doch Fossilien der Belemnitida (Belemnotheutis und Acanthoteuthis), mit denen die Phragmoteuthiden eng verwandt sind, sowie der Prototeuthidina (Plesioteuthis, Rhomboteuthis und Romaniteuthis) aus dem Jura zeigen allesamt einreihige (uniseriale) Saugnäpfe. Dass dieses Merkmal bei basalen Arten beider Gruppen auftritt, deute darauf hin, dass es bereits bei den ursprünglichen Coleoiden vorlag und sich biseriale Saugnäpfe erst später zweimal unabhängig voneinander bei den Octobrachia (Kraken und Verwandte) und Decabrachia (Kalmare, Sepien und Verwandte) entwickelt haben. Demnach dürfte es in der Trias höchstwahrscheinlich keine Kopffüßer mit biserialen Saugnäpfen gegeben haben, die als Vorbild für das „Selbstporträt“ in Frage kommen: „Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ein unbekannter Stamm von Coleoiden in der späten Trias biseriale Saugnäpfe entwickelt hat, aber es gibt nichts, um diese Annahme zu unterstützen“ (Greenfield 2021; Üs. DeepL/LI).
Hinzu käme, dass größere Coleoiden ansonsten nicht vor der Kreidezeit bezeugt seien und auch dann nur eine Länge von bis zu 2,96 m (Enchoteuthis) erreichten, während alle bekannten triassischen Arten unter einem Meter Länge blieben. Der Triassische Riesenkrake überträfe dagegen selbst den heutigen Riesenkalmar Architeuthis dux mit einer Gesamtlänge von bis zu 15,66 m (einschl. Tentakeln) um 92 %, was „höchst unplausibel“ sei.
In vorauseilender Reaktion auf das Argument, Kalmare und Oktopusse könnten aufgrund ihrer kurzen Lebenserwartung keinen Sinn für Kunst entwickeln, hatte McMenamin bereits zuvor spekuliert, ob der „Riesenkrake“ statt den Coleoiden nicht vielmehr der Gruppe der Nautiloiden angehöre. Deren größte fossile Arten Endoceras und Cameroceras, welche Größen von mehreren Metern erreichten, besaßen massive äußere Schalen, welche eine deutlich längere Lebenszeit zum Wachsen benötigt hätten: „Der Triassische Kraken könnte von einer dieser Gruppen abstammen, und es ist nicht unplausibel, dass er die ursprüngliche Langlebigkeit beibehielt, auch wenn er die ursprüngliche Schale nicht behalten haben sollte“ (McMenamin 2016, 152; Üs. LI). Jedoch stammen sowohl Endoceras als auch Cameroceras aus dem sehr viel älteren Ordovizium; die gesamte Gruppe der Endocerida starb bereits im mittleren Silur (ca. 430 Mio. Jahre vor heute) nicht weniger als 200 Millionen Jahre vor der Trias aus. Von allen Nautiloiden überlebten nur die Nautilida (sowie möglicherweise die Orthocerida) bis in die Trias, aus welchen die Ammoniten des Mesozoikums sowie die bis heute überlebenden Nautili hervorgingen. Allerdings sind Saugnäpfe ‒ geschweige denn biseriale ‒ bislang für keine Gruppe der Nautiloiden nachgewiesen; die heutigen Nautili (Perlboote) besitzen keine (Kimbara et al. 2020).

Viel Wirbel um nichts?

Skelett von Besanosaurus leptorhynchus (Holotyp BES SC 999) mit doppelreihig angeordneten Schwanzwirbeln im anatomischen Verband (Dal Sasso/Pinna 1996, fig. 8).
Skelett von Besanosaurus leptorhynchus (Holotyp BES SC 999) mit doppelreihig angeordneten Schwanzwirbeln im anatomischen Verband (Dal Sasso/Pinna 1996, fig. 8).

 

In zwei Addenda zum Artikel 2022 und 2023 machte Greenfield auf zwei weitere Funde von Ichthyosaurierskeletten mit zweireihiger Anordnung der Wirbel aufmerksam. Eine solche ist etwa im Schwanz des Holotyps von Besanosaurus leptorhynchus (Dal Sasso/Pinna 1996; Bindellini et al. 2021) sowie bei einem weiteren großen Shastasauriden aus der spättriassischen Kössen-Formation in der Schweiz (Sander et al. 2022) zu erkennen. Demnach sei die taphonomische Anordnung der Wirbel bei den Shonisauriern aus dem Berlin-Ichthyosaur State Park alles andere als ungewöhnlich, sondern komme unter bestimmten Umständen auch in anderen Fällen zustande. Dass sich der Schwanz des Besanosaurus trotz biserialer Anordnung der Wirbel weiterhin im Skelettverband befindet, zeigt gut das kleinräumige Auseinanderfallen der Wirbelsäule und dürfte eine Manipulation durch etwaige Riesenkraken ausschließen.

 

Skelett von Suevoleviathan integer, Paläontologischen Sammlung der Universität Tübingen (Foto: Leif Inselmann).
Skelett von Suevoleviathan integer, Paläontologischen Sammlung der Universität Tübingen (Foto: Leif Inselmann).

Für das Phänomen ließen sich gewiss weitere Beispiele anführen: So ist bei dem Skelett des Ichthyosauriers Suevoleviathan aus dem unteren Jura, das in der Paläontologischen Sammlung der Universität Tübingen ausgestellt ist, die Schwanzwirbelsäule im Prozess der Auflösung erkennen: Die scheibenförmigen Wirbel kippen um, verteilen sich ‒ und kommen an manchen Stellen in Doppelreihen zur Ruhe, ohne dass dabei ein intentionales Muster erkennbar wäre. All diese Funde zeigen einen fließenden Übergang zwischen der Schwanzwirbelsäule im anatomischen Verband und einer Anordnung der Wirbel in Doppelreihen, die offenbar immer wieder in kürzeren oder längeren Abschnitten zustande kommt. Dabei ein oder zwei Exemplare mit besonders markanter Wirbellage zu identifizieren, scheint also weniger eine Frage der Todesursache als vielmehr eine Übung in Pareidolie.
Umso bemerkenswerter ist es, dass Mark McMenamin (2023, 9) in seiner neuen Publikation keines der genannten Gegenargumente thematisierte, sondern die bisherige Kritik an seiner Hypothese mit der Zusammenfassung „verleumderische Äußerungen, Vandalismus des Wikipedia-Eintrags des Erstautors und ad-hominem-Attacken gegen die Autoren“ abbügelte.

Was bleibt?

Riesenkrake attackiert Schiff. Zeichnung von Pierre Dénys de Montfort (1801).
Riesenkrake attackiert Schiff. Zeichnung von Pierre Dénys de Montfort (1801).

McMenamins Riesenkraken-These stieß in der Medienwelt von Anfang an auf breites Echo und wurde von zahlreichen Blogs und Newsportalen aufgegriffen, vom grenzwissenschaftlichen Portal AncientOrigins bis zur Süddeutschen Zeitung. Viele paraphrasierten ungeprüft die Argumente des Abstracts und der nachfolgenden Publikationen, andere holten die Meinung von Paläontologen ein und stellten die Theorie unverblümt als absurd heraus (so etwa Switek 2011: The Giant, Prehistoric Squid That Ate Common Sense). Auch in Online-Datenbanken wie dem Prehistoric Wiki sowie der Encyclopaedia of Cryptozoology hielt der Kraken Einzug; verschiedene künstlerische Darstellungen des Kopffüßers mit seiner Beute entstanden (u.a. Tamura 2011 und Nix Draws Stuff = Abb. 1). Schließlich widmete sogar das Fantasy-Kartenspiel Mythgard dem „Triassic Kraken“ eine eigene Karte.
Doch steht die Hypothese auf einer wissenschaftlichen Grundlage, die näherer Überprüfung standhält? McMenamins ursprüngliches Kernargument, die zweireihige Anordnung der Shonisaurus-Wirbel, lässt sich aufgrund des graduellen Vorkommens ähnlicher Muster bei anderen Skeletten sowie der Unplausibilität biserialer Saugnäpfe bei triassischen Kopffüßern kaum länger langen. Zumindest die gewagte Teilhypothese des Selbstporträts dürfte damit ins Reich der Fantasie zu verweisen sein. Ob das mutmaßliche Schnabelfragment von 4,8 cm den Rückschluss auf einen 30 m langen Kraken zulässt, ist zweifelhaft. Hinsichtlich aller vorliegenden Kenntnisse zur Evolutionsgeschichte der Cephalopoden stellt die Existenz eines a) riesigen, b) intelligenten Kopffüßers mit c) biserialen Saugnäpfen im Trias-Zeitalter jedenfalls eine sehr unwahrscheinliche Annahme dar.
Bislang unerklärt bleibt dagegen der Grund für die Ansammlung von Shonisauriern in der Luning Formation, wenn diese tatsächlich sukzessive im tiefen Wasser abgelagert wurden. Allerdings ist dies noch kein direkter Hinweis auf den mutmaßlichen Täter – der postulierte Kopffüßer bliebe ein „Kraken der Lücken“. Auch die Rippen- und Wirbelsäulenbrüche sowie mutmaßlichen Bisspuren am zweiten Skelett wurden von den bisherigen Kritikern nicht thematisiert. Zur Überprüfung, ob diese Spuren tatsächlich auf einen Krakenangriff zurückgehen könnten, wäre vermutlich eine professionelle Inaugenscheinnahme am Objekt selbst vonnöten – welche auch Mark McMenamin nicht vorgenommen hatte, der die Befunde anhand von Fotos beurteilte.
Ob es den postulierten Riesenkraken also tatsächlich gab, lässt sich unweigerlich nie völlig ausschließen, bis auf weiteres aber kaum hinreichend belegen. Es fehlen sichere Beweise, die Indizien bleiben indirekt und umstritten. Das macht den Triassic Kraken, wie bereits mehrere Kritiker in wenig wohlwollender Absicht anmerkten, eher zu einem Objekt der Kryptozoologie anstatt der regulären Paläontologie. Man wünscht sich, der „intelligenteste Wirbellose aller Zeiten“ wäre bereit gewesen, uns eindeutigere Botschaften zu hinterlassen.


Literatur

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Wikipedia.org: Kraken (Überblick zur Kulturgeschichte des „Riesenkraken“ in Mythologie und Naturkunde).

Von Leif Inselmann

Leif Inselmann wurde am 27.07.1998 in Kiel geboren. Er studierte Ur- und frühgeschichtliche Archäologie und Altorientalistik in Göttingen; seit 2024 promoviert er an der Freien Universität Berlin zur Archäologie der Bronzezeit. Auf dem Blog „Wunderkammer der Kulturgeschichte“ (wunderkammer.inselmann.net) setzt er sich kritisch mit kontroversen Thesen zur Geschichte und Archäologie auseinander. Neben der menschlichen (Vor-)Geschichte gehören auch Paläontologie und Kryptozoologie seit Kindheitstagen zu seinen Interessen.