Größenvergleich Gigantopithecus blacki Eisbär MenschVergleich der Größe einer klassischen Gigantopithecus blacki-Rekonstruktion, einem modernen Eisbär und Menschen
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Gigantopithecus blacki, der Riesenaffe, nichts anderes heißt sein wissenschaftlicher Gattungsname, beschäftigt nicht nur die Fantasie der Paläontologen, seit erste, gewaltige Zähne gefunden wurden. Bezeichnenderweise tauchten sie alle in Apotheken für traditionelle chinesische „Medizin“ auf. In einer Hongkonger Apotheke fand der deutsche Paläontologe Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald 1935 einen hinteren, rechten, unteren Molar unter hunderten von fossilen Orang-Utan-Zähnen.

Zahn eines Gigantopithecus
Zähne sind die häufigsten Fossilien von Gigantopithecus, hier der Holotyp

 

Bigfoot, und … ?

Gigantopithecus wird auch immer wieder als möglicher Kandidat herangezogen, wenn es um eine wissenschaftliche Erklärung der Bigfoot-Beobachtungen geht.

 

Bigfoot bzw. Bigfoot-Sichtungen sind ein popkulturelles Phänomen, das seit ungewöhnlichen Vorfällen bei Bauarbeiten an Verbindungsstraßen im Hinterland des Pazifischen Nordwesten Kaliforniens in den 1950er-Jahren bekannt wurde. Damals wurden „über Nacht“ schwere Kanister mit Maschinenöl auf den Baustellen bewegt, oft fand man an diesen Stellen im Sandbett der anzulegenden Straße Fußspuren, die riesigen, menschlichen Fußspuren ähnelten.

 

Eureka Humboldt Times vom 04.Sept.1062
Foto eines „Bigfoot“-Abdruckes aus der Eureka-Humboldt Times vom 04. September 1962 (gemeinfrei). Berichte wie diese haben den ersten Bigfoot-Hype befeuert.

 

Eine erste Filmaufnahme, der Patterson-Gimlin-Film wurde 1967 unweit der ersten bekannten Ereignisse gedreht und veröffentlicht. Es zeigt einen mutmaßlich weiblichen Bigfoot, der sich über eine Kiesbank eines Baches von den Filmern zurückzieht. Das darin gezeigte Wesen wird auf etwa 2 m Körpergröße geschätzt, ist nahezu vollständig behaart und zeigt deutlich sichtbare Brüste.
Der Film ist zu einer Ikone der Bigfoot-Forschung geworden, zumal er trotz zahlreicher Versuche nie als Fälschung entlarvt werden konnte.

 

Patty
Abzug eines Einzelbildes aus dem Patterson-Gimlin-Film von 1967

 

Seit den 1950er Jahren gibt es zahllose angebliche Fußabdrücke, die ein Bigfoot hinterlassen haben soll. Viele davon wurden hinterher als Fälschungen entlarvt. Auch Haaranalysen durch mehr oder weniger geeignete Institutionen lieferten zwar Ergebnisse, aber keine Hinweise auf einen nicht-menschlichen Hominiden (Ergebnisse 1, Ergebnisse 2) oder scheiterten an technischen Fehlern (Ketchum-Affäre). Ein Nebeneffekt war die Entdeckung, dass der Isabellbär eine besondere Stellung unter den Braunbären einnimmt.
Ebenfalls zahlreich sind Versuche, einen Bigfoot-Leichnam oder Teile davon vorzuweisen. Einen solchen konnten u.a. wir entlarven (Coyote-Peterson-Affäre).

 

Spätestens seit den 1980er Jahren haben sich zahlreiche Organisationen der Bigfoot-Forschung verschrieben. Sie bewegen sich zwischen institutioneller Wissenschaft, die Grover Krantz vertritt, populärer Forschung, Waldläufern und Personen aus dem Esoterik-Alien-Bereich. Allen gemeinsam ist, dass sie keinerlei Beweise für die Existenz einer Spezies „Bigfoot“ liefern können, auch wenn es oft behauptet wurde.

 

Bigfoot als reales Wesen?

Einige Kryptozoologen und zahlreiche kryptozoologisch interessierte Leser halten Bigfoot für ein reales Tier. Dies impliziert selbstverständlich, dass es eine Art „Bigfoot“ gibt, also zahlreiche Individuen, die einander ähneln und eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden. Um uns mit dem Phänomen Bigfoot zu befassen, müssen wir von der Hypothese ausgehen, dass es sich bei Bigfoot tatsächlich um ein Wesen handelt, das zur Zoologie gehört, im zoologischen System eingeordnet ist und selbstverständlich den Naturgesetzen unterliegt

 

Bigfoot, die Naturgesetze und die Kryptozoologie

Die Annahme, dass es sich bei dem, was Leute bei Bigfoot-Sichtungen beobachten, um ein natürliches Wesen handelt, ist keinesfalls universal.

 

Die amerikanischen Ureinwohner leben in einer Welt mit zahlreichen Geisterwesen, die nicht den Naturwissenschaften unterliegen und nach Belieben mit der naturwissenschaftlichen Welt interagieren oder auch nicht. Einige dieser Wesen können beispielsweise Kinder kidnappen und sie in die Geisterwelt hinüber ziehen. Für Außenstehende, wie es „westliche“ Kryptozoologen zwangsläufig sind, ist es sehr schwer, die Unterschiede festzumachen.

 

Einige Interpreten teilen eine extreme Sicht der Bigfoot-Beobachtungen. Sie glauben beobachtet zu haben, dass Bigfoot-Sichtungen häufig mit Effekten korrelieren, die UFO-Sichtungen begleiten. Daraus schließen sie, dass Aliens Bigfoots als eine Art Haustier halten, das sie in den Wäldern des pazifischen Nordwestens gelegentlich „Gassi gehen“ lassen.

 

Diese beiden und ähnliche Sichtweisen stellen Bigfoot als ein Wesen dar, das nicht der Zoologie unterliegt. Damit wäre es auch nicht Teil der zoologischen Kryptozoologie, lediglich Form und Entwicklung der Bigfoot-Mythen bei den First Nations ist in so einem Fall Teil der Kryptozoologie.

 

Bigfoot und die Umwelt

Diese Individuen interagieren mit der Umwelt, man müsste als Spuren von ihnen finden, die über Fußabdrücke und umgeworfene Fässer hinaus gehen. Tatsächlich finden vor allem Bigfoot-Enthusiasten Einiges, was sie als direkte und indirekte Spuren interpretieren. Das beginnt bei Kothaufen, geht über mutmaßliche Nester und endet bei Reviermarkierungen und endet bei potenziellen Kommunikationszeichen.
Problematisch hierbei ist, dass auch moderne Untersuchungen – falls sie denn durchgeführt werden – keinen Hinweis auf eine unbekannte Art liefern.

 

Blick über Redwood-Wälder mit tiefhängenden Wolken
Die Redwood-Wälder und nördlich davon die Douglasien-Wälder im pazifischen Nordwesten scheinen das Hauptverbreitungsgebiet des Bigfoot zu sein.

 

Eine Spezies „Bigfoot“ kann nicht aus Einzelexemplaren bestehen. Wenn es sie gibt, braucht sie eine Mindest-Populationsgröße, die je nach Art der Abschätzung zwischen 300 und 3000 Individuen liegt.
Handelt es sich um einen Primaten, also einen Menschenaffen oder eine Menschenart, ist davon auszugehen, dass sie sozial lebt. Es müsste also Familiengruppen oder ähnliche Aggregationen von Bigfoots geben.
Beobachter berichten jedoch nahezu immer von Einzelexemplaren, angebliche Fotos von mehr als einem Individuum sind extrem selten.

 

Als Lebewesen muss sich sowohl das Bigfoot-Individuum als auch die Art in ein Ökosystem einfügen, eine Ökologische Nische besetzen. Auch wenn Berichte aus jedem US-Festlandstaat und nahezu jedem County bekannt sind, scheint sich die potenzielle Verbreitung der Art auf den pazifischen Nordwesten, etwa von San Francisco im Süden bis zum südlichen Alaska erstrecken. Typische Bigfoot-Habitate sind kühlgemäßigte bis boreale Nadelwälder in Kalifornien, Oregon, Washington-State, British-Columbia und Alaska.

Die Wälder an der Westküste sind bzw. waren seit der Besiedlung durch Weiße immer einer Nutzung unterworfen, von Jagd bis Kahlschlag. Der Grizzly wurde aus den zusammenhängenden US-Staaten weit in den Norden verdrängt. Ob hier neben dem Schwarzbären Platz für weitere sehr große Generalisten mit entsprechendem Nahrungsbedarf an hochwertiger Pflanzennahrung und Fleisch ist, ist kaum zu erforschen.

Geht man davon aus, dass Bigfoots zwischen 7 und 8 Fuß groß sind, also zwischen 2,1 und 2,4 m, erreichen sie vermutlich Gewichte von 150 kg und mehr. Dies führt zu einem Kalorienbedarf, der mindestens dreimal so hoch ist, wie bei einem Menschen.

 

der mächtige Stamm eines Redwoods liegt über einem Weg
Überall im Pazifischen Nordwesten der USA gibt es Berichte von großen, haarigen Wesen.

 

Die Wälder an den gemäßigten Küsten Kaliforniens bis ins südliche British Columbia können diesen Bedarf möglicherweise decken. Wie sich diese Wesen im Winter Alaskas ernähren können, ist eine andere Frage. Bären machen in der nahrungsarmen Jahreszeit Winterschlaf, diese Fähigkeit haben Primaten nicht.

 

Bigfoot und seine Vergangenheit

Wenn Bigfoot als Art existiert und es sich um einen großen Primaten handelt, muss er von anderen Primaten abstammen. Irgendwo wird es einen gemeinsamen Vorfahren mit dem Menschen und einen gemeinsamen Vorfahren mit den Menschenaffen geben.

Hier zeigt sich ein weiteres Problem der Annahme: Es gibt keinerlei Fossilien eines Menschenaffen, Vor- oder Frühmenschen aus Amerika. Ebenso scheint der moderne Mensch, Homo sapiens, zu dem wir gehören, die größte Menschenart zu sein.

 

Hier kommt als Annahme der sehr große Affe Gigantopithecus blacki ins Spiel.

 

Was ist heute über die Anatomie von Gigantopithecus blacki bekannt?

Seine Erstbeschreibung von Gigantopithecus bezeugt, wie sehr Gustav von Koenigswald der Fund beeindruckt hat, aber noch mehr, wie wenig tatsächlich über das Tier bekannt war:

 

„Ein gewaltig grosser ziemlich abgekauter rechter unterer letzter Molar kann nicht zu [der Gattung] Simia gerechnet werden. Ihm fehlt nicht nur völlig die für Simia typische starke Schmelzrunzelung, er zeichnet sich auch durch eine eigenartige Oberentwicklung sekundärer Höckerchen aus, die ihm ein für einen Primatenzahn etwas merkwürdiges Aussehen verleihen. Zeichnet man sich jedoch ein Schema des Zahnes auf, so stellt sich heraus. dass es die gleichen Sekundärhöckerchen sind, die auch beim Orangutang auftreten können (…). So besitzt z.B. der zweite Molar der in Abb. 1 dargestellten Zahnreihe ein typisches Tuberculum acces. med. intern.

Ich kann unseren Zahn bei keinem der bekannten Primaten unterbringen, weshalb ich ihn als

 

Gigantopithecus blacki n.g.n.sp.

 

bezeichne. Seine grösste Länge ist 22 mm seine grösste Breite 18 mm. lch nenne die neue Art nach DAVIDSON BLACK, dessen fundamentale Arbeiten über den Sinanthropus ihm ein dauerndes Gedenken sichern werden, und dem es leider nicht mehr vergönnt war, sein Werk zu vollenden.

Wenn auch im allgemeinen die Zähne von Sivapithecus anders gebaut sind, so erreicht doch der von PILGRIM abgebildete untere letzte Molar von Sivapithecus middlemissi aus der Chinji~Zone von Ramnagar in Britisch~Indien – Indian fossil Primates, Pal. India XIV (1927), Abb. 7 – in bezug auf eine beginnende stärkere Ausbildung der sekundären Elemente eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Zahn, sodass die Vermutung ausgesprochen werden kann, dass Gigantopithecus vielleicht einem Seitenzweig der Sivapithecus~Gruppe angehört.“

 

 

Holotyp Gigantopithecus
Der Holotyp von Gigantopithecus blacki, Zeichnung aus der Erstbeschreibung und modernes Foto

 

Leider ist die Spurenlage heute auf den ersten Blick kaum besser. Die meisten Fossilien von Gigantopithecus stammen zwar heute nicht mehr aus Aufsammlungen für Apotheken, sondern aus wissenschaftlichen Grabungen, aber mehr als etwa 2000 Zähne, drei Unterkiefer-Fragmente und ein vollständiger Unterkiefer sind nicht bekannt.

Gigantopithecus bewohnte wohl vor allem die südchinesischen Karst-Landschaften in Guangxi. Die meisten Fossilien sind aus der dortigen Liucheng-Höhle bekannt, zur genauen Lage dieses und weiterer Fundorte informiert der vorhergehende Artikel „Warum starb Gigantopithecus aus?

 

Fundorte von Fossilien von Gigantopithecus blacki nach Hathaway et al 2024
Lage der Fundorte der Fossilien von Gigantopithecus blacki und anderer Arten. Abb. aus Hathaway et al., 2024 (CC-BY-SA 4.0)

 

Wie wird Gigantopithecus blacki rekonstruiert?

Die Rekonstruktion eines Tieres nur aus Zähnen und Unterkiefer ist bestenfalls schwierig. Viele wesentliche Punkte sind Annahmen, die aus Annahmen entstanden sind. Ein Beispiel: Die Zähne und Unterkiefer gleichen denen eines Orang-Utans, also geht man davon aus, dass es sich bei Gigantopithecus um einen Menschenaffen aus der Orang-Utan-Linie handelt. Daher wird er bei Rekonstruktionen oft mit orangefarbenem Fell – wie beim Orang-Utan –  gezeichnet.

 

Dieser Logik folgten auch die ersten Rekonstruktionen des Gigantopithecus blacki. Man vermaß die Zähne und Kiefer, die man von ihm hatte. Dann vermaß man die Zähne und Kiefer rezenter Orang-Utans und ermittelte, dass G. blacki um den Faktor X größer war, als ein Orang-Utan. Also vergrößerte man das Skelett eines Orang-Utans um denselben Faktor und schon hatte man eine Roh-Rekonstruktion. Dabei berücksichtigte man, dass die Größe in der 2. Potenz, das Gewicht aber in der 3. Potenz wächst und sorgte für einen entsprechend robusten Knochenbau, der dieses Gewicht auch tragen konnte.

Die Folge war ein Affe, der die Größe eines großen Eisbären erreichte, und dessen Kopf – bei quadrupedem Gang – auf etwa 2 m Höhe anzusiedeln war. Wenn er sich aufgerichtet hätte, hätte er eine Höhe von 2,4 bis nahezu 3 m erreichen können. Ältere Rekonstruktionen (Pei, 1957 und Simons, 1970) benennen Werte etwa 12 ft. Höhe (ca. 3,7 m) und ein Gewicht von 600 Pfund, also 272 kg für angloamerikanische Pfund. Dies triggert natürlich die Fantasie zahlreicher Autoren.

Mensch und klassische Rekonstruktion von Gigantopithecus blacki
Silhouette einer klassischen Rekonstruktion von Gigantopithecus blacki, der aufgerichtet fast 2,5 m erreicht. (Abb: Mettiina CC-BY-SA 4.0)

Auf die Frage, ob so ein Gigant biologisch und physikalisch überhaupt möglich ist, geht keiner der Autoren ein. Die Folge war eine Reihe von Darstellungen gewaltiger Affen, neben denen erwachsene Menschen wie Kinder wirkten – und viel Stoff für Horrorfilme und -romane.

 

Neuere Rekonstruktionen ließen Gigantopithecus ein wenig schrumpfen. Außerdem stellten sich die Wissenschaftler die sinnvolle Frage, wieso er als einzige rezente Affenart (neben dem Menschen) auf zwei und nicht auf vier Beinen laufen sollte. Dies führte zu einer weniger abstrakten und vermutlich weit realistischeren Rekonstruktion, die auch näher am Orang-Utan liegt:

 

Größenvergleich Gigantopithecus blacki Eisbär Mensch
Vergleich der Größe einer klassischen Gigantopithecus blacki-Rekonstruktion, einem modernen Eisbär und Menschen

Eine modernere, aber kaum berücksichtigte Studie

Eine andere, modernere Art der Rekonstruktion wurde in einer Arbeit aus dem Jahr 1979. Der Studienautor, A.E. Johnson hat sich vorher mit der Größe von Zähnen und Körper bei Westlichen Gorillas (Gorilla gorilla) und Borneo Orang-Utans (Pongo pygmaeus) befasst und hierzu eine Studie veröffentlicht.

 

Mehr dazu im 2. Teil

 

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.